Wollen wir uns kennen lernen?
Ich heiße Irina Gavrysheva, auch „Usja" (verkürzt von Irusja) für Freunde-Myastheniker, auch „Daktik" (verkürzt von Pterodaktylus) für alle Freunde, auch… noch Vieles mehr. Ich bin ein fast gewöhnliches Mädchen mit einem fast gewöhnlichen Leben.
Fast… mit einer kleinen Korrektion… Es hat alles ziemlich banal angefangen. Vor 26 Jahren ist ein Mädchen Ira geboren. In einer ganz gewöhnlichen Familie. Ira lebte ganz glücklich, bis mit zehn Jahren ein gutartiger Tumor im Knochen entdeckt wurde. Ein Jahr Schmerzen und Krücken, nach einem Jahr – eine Operation für Tumor-Entfernung. Und dann wurde etwas im Körper falsch umgeschaltet, die Immunität verstand nicht mehr, wo meine und wo fremde Gewebe sind und begann den Stoff zu fressen, ohne den Muskeln nicht funktionieren können. Erste Symptome (Muskelschwäche) sind 14 Tage nach der Operation entstanden. Nach zwei Jahren konnte ich nicht mehr gehen, nach fast drei Jahren ist der erste Atemstillstand passiert, am nächsten Tag – der Herzstillstand.
Danach waren zwei Jahre des wilden Kampfes für’s Leben. Es hat sich herausgefunden, dass meine Familie nicht so gewöhnlich ist: meine Eltern haben ALLES Mögliche für meine Rettung gemacht. Es wäre lange zu erzählen, wie sie 40 Minuten lang eine Beatmung machten, wie meine Mutter im Flugzeug Reanimatologen half, mich zu retten, wie meine Eltern buchstäblich verhungerten, um mir Rettungs-Medikamenten zu kaufen… Und trotz der Diagnose und aller Umstände habe ich ausgelebt. Ich war 16, als Ärzte beurteilten: ich gehe normal nie mehr; Arme, Rücken, Hals, Schlucken und vieles mehr wird auch nie mehr normal funktionieren. Außerdem ist die Diagnose selbst (Myasthenia gravis, die schwerste Form) in der Ukraine praktisch eine Tod-Beurteilung – Lebensdauer von Patienten ist bestenfalls zehn Jahre nach dem Erscheinen erster Symptome. Nach allen Berechnungen blieb mir also nicht so viel. Das wollte ich aber nicht akzeptieren… Ich habe mir selbst das Medikamenten-Schema gewählt und trotz Allem die zehnjährige Grenze übertreten. Ansonsten waren die ärztlichen Prognosen richtig: ich bewege mich meistens mit dem Rollstuhl, obwohl kleine Strecke mit Unterstützung durchgehen kann, kann ohne Unterstützung fast nicht sitzen, kann mit keinem Schreiber schreiben (nur mit Tastatur tippen)… ich kann Vieles nicht. Es ist aber tatsächlich gar nicht tödlich (sage ich für die, die bedauern oder, noch schlimmer, von mir begeistert sind). Ein Mensch ist so eine Kreatur, die sich zu Allem anpasst. Ich habe mich also auch dazu angepasst.
Seit 2003 wurde Myasthenie stabilisiert und das Leben begann besser zu werden. Ich habe die Schule abgeschlossen, obwohl ich vorher mein Lernen abgebrochen habe. Dann wollte ich in die Medizinische Universität eintreten, weil es immer mein Traum war, Ärztin zu werden. Meine Dokumente wurden aber nicht angenommen: „Da ist kein richtiger Platz für dich! Wir sind Ärzte, aber du…" Dann habe ich mit Arbeit angefangen. Zuerst Journalistik, danach trug mich mal das Leben in die Wohltätigkeit ein (wie es passiert ist, ist hier zu lesen). Zuerst eine Freiwillige der Webseite „Kinder von Zaporizhzhia", seit dem Mai 2007 – die Vorstandsvorsitzende der von Freiwilligen der Webseite organisierten Wohltätigkeits-Stiftung „Happy Child". Wir helfen schwerkranken Kindern und Waisenkindern des Gebiets Saporigjia. Hinter uns stehen keine Oligarchen, die Meisten unserer Projekte sind dank den Spenden einfacher Menschen möglich. Ich besuche Konferenzen für Patienten-Rechte, nehme an Jugend-Wettbewerben teil (aber an Wettbewerben für Behinderte nehme ich prinzipiell nicht teil).
Ich bin Erstellerin und Administratorin des Forums „Wir und Myasthenie" und Präsidentin der All-Ukrainischen Assoziation „Wir und Myasthenie" von Menschen, die gegen Myasthenie kämpfen. Studentin der National-Universität von Saporigjia, künftige Psychologin. Das Leben ist also vielfältig und erstaunlich… Manchmal zu erstaunlich.
Seit 2008 hat die neue Stufe der Gesundheits-Probleme angefangen. In der Ukraine konnte man weder verstehen, was passiert, noch mir helfen. Wegen der Schmerzen in zerstörten Gelenken drehte ich mich rasant zur liegenden Patientin. Meinen Zustand verborg ich von Freunden, das ist ihnen trotzdem bekannt geworden. Und die Situation wollten sie nicht akzeptieren. Deshalb kam ich zum ersten Mal nach Deutschland. Da wurden zwei Operationen für Gelenk-Ersatz gemacht und eine Diagnostik durchgeführt, die zwei schwere genetische Störungen zeigte. Die eine von ihnen, so genannte Leiden-Mutation führt zur Blut-Gerinnung innerhalb der Gefäße. Gefäße werden thrombiert, das Blut kommt nicht zu Geweben, infolge dessen ihre Nekrose auftritt. Genau deswegen wurden Knochen zerstört, funktionierten Nieren schlecht, kamen Schlaganfälle und vieles mehr. Die zweite genetische Störung führte zu einer seltenen Herz-Erkrankung – LQTS. Prognosen bei beiden Erkrankungen ohne Behandlung sind ganz finster. Wenn man noch dazu Myasthenie u. A. ergänzt… Mit einem Wort, hatten sogar die Deutschen keinen besonderen Optimismus. Trotzdem haben sie meine Behandlung übernommen.
Um Thrombosen zu vermeiden, muss ich das ganze Leben spezielle Medikamente (Antikoagulantia) annehmen. Das bringt viel Risiko und Komplikationen, ist aber die einzige Chance. Mit dem Herzen ist die Situation schwieriger geworden. Um mich von einem Herzstillstand zu retten, hat man mir im November 2009 in Deutschland einen Kardio-Defibrillator eingepflanzt. Es war unmöglich, diese Operation mit traditionellen Methoden durchzuführen, deshalb wurde ein Experiment gemacht. Das Experiment ist nicht gelungen, während der Operation wurde die zum Herzen angenähte Elektrode infiziert. Das hat man nicht sofort verstanden, dann kamen Komplikationen, ärztliche Fehler, noch eine Operation – an der Lunge. Es gab noch vieles mehr, als Ergebnis kam aber praktisch eine Todes-Beurteilung: die postoperative Staphylokokkus-Perikarditis (Infektion beim Herzen). Die deutschen Ärzte haben aber riskiert, eine ganz kleine Chance zu nutzen, und übernahmen die Operation für Difi-Entfernung. Am 7. Juli 2010 wurde eine unikale Operation mit einem unikalen Ergebnis durchgeführt – ich habe ausgelebt! Und noch mehr: nach zwei Monaten ist es gelungen, noch eine Operation durchzuführen, die mich doch gegen Arhythmie (LQTS) sichern muss – einen Schrittmacher einzustellen.
Manchmal sehe ich mich ähnlich mit einem alten Auto: damit es fährt, muss man immer mehr Geld für die Reparatur ausgeben, wobei es jedes Jahr immer weniger Leistungen bringt. Es wäre aber schade, es weg zu schmeißen, weil es kein anderes gibt. Deshalb macht man diese global sinnlosen Geld-Beiträge weiter. Ja, mein Leben kostet Geld. Die letzte Zeit einfach riesiges Geld (es würde für ein paar neue Autos reichen). Und ohne meine Freunde würde ich solche Summen nie und nirgends finden. Meine Freunde, die so stark wollen, dass ich lebe, die in extremen Situationen notwendige Summen für meine Behandlung sammeln, die das Geld im Internet, bei ihren Freunden oder Bekannten bitten. Und ich lebe immer noch nur dank meinen Freunden und den Hunderten und Tausenden Menschen, die ich nicht kenne und die trotzdem das Geld für meine Behandlung senden.
So, das war’s über mich. Mit allen Fragen – herzlich willkommen beim Forum! Ich warne: für Sätze wie „Entschuldige, wenn die Frage unkorrekt ist…" fange ich an, zu knurren und zu beißen. Bezüglich meiner Krankheit und Behinderung gibt es keine verbotenen Themen und keine unbequemen Fragen!!! Ich habe die gleichen verbotenen Themen, wie alle normalen Menschen. Ich bin überhaupt ganz normal mit einigen Ausnahmen: um mich zu bewegen, muss ich Räder des Rollstuhls drehen; und zweimal pro Tag erinnert mich der Wecker daran, dass ich eine Menge Medikamente annehmen soll.